Landgericht by Krechel U
Autor:Krechel, U [Krechel, U]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-10-08T22:00:00+00:00
Die kubanische Haut
Tage, mit heißer Nadel aneinandergestichelt, sich gegenseitig überlappend. Ein Sandmückenschleier sirrt in der Luft über der dösenden Bucht. Klares, blaues Licht, Licht von ruhiger Eindringlichkeit, das einen bloß und bleich erscheinen ließ. Windmühlen, Zuckermühlen, Tabakfelder, Regimenter von Bananen. Zuckerrohrkämpfe, ausgefochten wie mit Lanzen, Macheten. Die ganze Ökonomie hing an einem seidenen Faden, und der war der Zuckerpreis. Gleißende Helligkeit der Barockkirchen und ihrer Nachahmer aus dem 19. Jahrhundert, die glanzvolle Ausstrahlung der Paläste mit ihren schattigen Höfen, Denkmäler, orchideenweiß, chinaweiß, porzellanweiß, vanillefarben. Kuba war ein Fließen und Ergießen, Bäche von Schweiß (man roch ihn, tat aber, als röche man ihn nicht), eine Lockerung, Beruhigung ganz ohne Grund. Im Januar, Februar waren die Temperaturen noch um 25 Grad. Ende März stieg das Thermometer bereits auf nahezu 40 Grad, man mußte sich damit abfinden, zu triefen und zu tropfen und sich dessen nicht zu schämen. An eine seriöse, hitzetaugliche Kleidung war gar nicht zu denken. Es sei denn, man nahm auf eine untergründige Weise Kontakt zu einem Schneider auf, einem Schneider, der ein irgendwie begründetes Rechtsproblem hatte, jemand war ihm die Rechnung schuldig geblieben, der Stoff, den er eingekauft hatte, war schadhaft, er wollte sich zur Wehr setzen, da war vielleicht etwas zu tun oder auch nicht. Die Bougainvilleas kämpften mit sich in seinem Hof, eine Palme, die aber nicht ausladend genug war, beschattete seinen Laden. Man konnte ihm Mut machen, das Rechtsproblem zu lösen, ohne daß er ein Gericht in Anspruch nehmen mußte, man konnte ihn vertrösten, Schriftsätze aufsetzen, die wehrhaft klangen, aber nichtig waren. Rechtsauskunft gegen Hose gegen Vertrauen. Zeit spielte keine Rolle, was sollte sich ändern, aber auch, was sich erst in einem Jahr änderte, war nicht aus der Zeit gefallen. Im September war die Luft so, wie man sie sich in der Hölle vorstellte. Es war so heiß, daß man schon gleich nach der morgendlichen Waschung mit einem Schweißfilm überzogen war und sich selbst nicht leiden konnte. Und dann begann es zu regnen, Ströme von Naß, Wasservorhänge, die Straßen reißende Flüsse, durch die man paddelte.
Man trank den leicht moussierenden, halb vergorenen Ananassaft, wie man anderswo Apfelwein trank, man saß im Schatten oder tagsüber in abgedunkelten Räumen, die Hand war schwer in der Hitze und blieb gerne im Schoß liegen. Man bestellte ein zweites Glas Ananassaft. Ein Mann mit einem Fahrrad kam, er hatte eine Stange Eis unter den Gepäckträger geklemmt, er fuhr das Fahrrad mit so begütigender Langsamkeit, daß es Freude machte, ihm zuzuschauen. Die Stange Eis war mit Zeitungen dick umwickelt, damit sie die Kühle einigermaßen behielt, und trotzdem hatte das Fahrrad eine sanfte, aber noch nicht kritische Tropfspur hinter sich gelassen. Er brachte dem Wirt das Eis hinter die Theke, der hackte es, um es später zu stößeln, verstaute es in der Tiefe und kühlte eine neue Portion Ananassaft damit. Es war ein dösiger Nachmittag, an dem es schwer fiel, an Berlin zu denken, man mußte an einen eisigen Wintertag denken, um zur Besinnung zu kommen. Es war schwer, überhaupt etwas zu denken und sich nicht der erhitzten Mattigkeit zu ergeben.
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